
Den roten Teppich rollte die Ernst-Reuter-Schule für ihre diesjährigen Absolventen auf ungewohntem Terrain aus. In etwas anderem Rahmen als üblich bekamen die Schüler von zwei zehnten Klassen ihr Abschiedszeugnis überreicht.
Eine so noch nie dagewesene Verabschiedungszeremonie fand am Mittwoch auf dem Gelände der ERS statt. Im Freien, unter Bäumen und vor allem unter Einhaltung sämtlicher Hygienevorschriften und Abstandsregeln. Bloß zwei Begleitpersonen sind pro Schüler zugelassen. Anwesend daneben nur Schulleitung, Schülervertretung und Klassenlehrkräfte, welche die 24 und 26 Mitglieder der Klassen 10a und 10b auf ihrem so wichtigen, weiteren Schritt ins Leben begleiten. Rund 80 Personen finden auf diesem Teil des Schulhofes komfortabel Platz, jeweils weit auseinander sitzend, in zwei Gruppen nacheinander an diesem sonnigen Nachmittag empfangen.

Ernst werden dann die Gesichter der Jugendlichen aus der 10b, still hören sie den Rednern zu. „Auch uns Lehrern fällt es schwer, euch loszulassen. Wir haben euch liebgewonnen.“ Fast etwas wehmütig klingt Schulleiter Matthias Hürten. „Ihr habt Großes geleistet und wichtige Schritte getan.“ Nachdenklich auch hört sein Publikum das Versprechen: „Zur Not sind wir immer noch da.“ 17 Schüler beginnen eine Ausbildung, 23 werden weiterführende Schulen besuchen, einer ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren. Vier verlassen die Schule ohne Abschluss, teilt Hürten noch mit, und eine wiederholt. „Sowas passiert schon mal.“

Viele lobende Worte für ihre Schützlinge findet Klassenlehrerin Martina Storck – die ein frisches Mikro zur Hand nehmen muss – wenngleich sie eine traurige Aufzählung jener „tollen Dinge“ voranstellt, die noch gemeinsam geplant waren und wegen Corona ausfallen mussten. „Aber ihr könnt mächtig stolz sein, dass ihr den Schulabschluss geschafft habt. Das ist eine große Leistung.“ Sie erinnert an Klassenfahrten, Sporturlaube und die lange und schöne, gemeinsam verbrachte Zeit, in der man „gut zusammengewachsen“ sei. Und sie macht auch Mut angesichts neuer, großer Chancen im nun beginnenden Lebensabschnitt: „Bleibt neugierig, bleibt offen.“
Einzeln werden die Schüler dann aufgerufen, nacheinander wie auf dem Catwalk zur hübsch dekorierten, kleinen Bühne vorzulaufen, um sich gebührend feiern und ablichten zu lassen. Dort warten neben der Gratulation und der Überreichung des begehrten Abschlusszeugnisses kleine Abschiedsgeschenke, eingerahmt von Kinderfotos und Namen aller. Der Ablaufplan für den gesamten Nachmittag ist genau festgelegt, die Choreografie scheint eingeübt – und notwendig, damit die Feierlichkeiten trotz Corona überhaupt stattfinden können.

Noch wird die Klassenbeste in diesem Jahrgang Melina Sekyra (Notenschnitt 1,3) ausgezeichnet, auf sie wartet ein Gutschein vom Buchladen ebenso wie in der vorangegangenen Feier auf Lucas Wolf aus der 10a (ebenfalls 1,3). Ein gemeinsames Gruppenfoto zur Erinnerung ist in diesem Jahr dann aber nicht mehr möglich. Zu schwierig erscheint es den Verantwortlichen, hierbei den erforderlichen Abstand zu gewährleisten. Schließlich, als die Schülerinnen und Schüler ihre Zeugnisse in der Hand halten, von Eltern und Verwandten beglückwünscht werden und der offizielle Teil beendet ist, löst sich die Anspannung. Erleichterung ist zu lesen in den stolzen Gesichtern der Absolventen und mindestens genauso bei den Organisatoren. Alles verlief reibungslos. So gut, dass Schulleiter Hürten ankündigt, diese Veranstaltungsart möglicherweise für künftige Verabschiedungen und auch Einschulungsfeiern beizubehalten.
Wie so vieles in diesem Jahr fällt das anschließende, ausgiebige Feiern leider flach, zumindest mit der ganzen Klasse zusammen. „Wir gehen noch was essen“, ist zu hören, dann treffe man sich in kleinen Gruppen im Freien.

„Ohne Corona hätte es bestimmt eine große Party gegeben“, ist sich nicht nur Bente Waegt sicher. Wunderschön findet die 16-Jährige den Rahmen hier: „Da haben sich die Lehrer echt Mühe gegeben.“ Sie habe sogar gedacht, dass gar nichts passieren würde und das Zeugnis per Post zu ihr nach Hause käme.
Zunächst hatte unter den Schülern sicherlich große Enttäuschung geherrscht. Schon der Unterricht gestaltete sich in den letzten Wochen und Monaten ungewöhnlich. Nach Schulschließung und Homeschooling wurden die Klassen aufgeteilt und in einem rotierenden System unterrichtet. Trotzdem halten die Schüler und Schülerinnen der 10b jetzt ihre Zeugnisse in den Händen, beglückwünscht von den stolzen Eltern.
Die Corona-Zeit sei schwer gewesen, meint Bente. Und anstrengend, die Noten zu halten. „Mit mehr Vorbereitungszeit hätte es auch in Mathe besser ausfallen können.“ Derselben Meinung ist Jabar Ghanizadah (15). „Alles war schwerer und hat uns auch ein bisschen Angst gemacht. Vor allem haben wir zuhause keinen Computer, und alles musste durch das Handy gehen. An meinen Noten hat sich da schon was geändert.“ Unterricht und Lehrer hätten ihm gefehlt.
„Für mich geht es jetzt in die Ausbildung als Einzelhandelskaufmann“, erklärt stolz der junge Mann, der mit seiner Familie nach der Flucht aus Afghanistan in Groß-Umstadt gelandet war und zunächst eine Intensivklasse in der Dieburger Goetheschule besuchte, um schnell und gut Deutsch zu lernen. „Ja, es gab Zeiten, wo ich mich bisschen mehr ins Zeug gelegt habe. Natürlich habe ich mehr gelernt als andere, wegen der Sprache.“ Nun strebt er parallel zur Ausbildung sogar noch sein Fachabitur an.
Bilder: Dorothee Dorschel & Ernst-Reuter-Schule