Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen. Diesen Satz von Albert Einstein zitierte die VdK-Ortsverbandsvorsitzende Sylvia Best in ihrer Ansprache zum diesjährigen Volkstrauertag. Zwar trage man als Nachgeborene keine Schuld an den Verbrechen der Nazis. „Allerdings haben wir die Verpflichtung und die Verantwortung, aus der Geschichte zu lernen und uns für Frieden und Versöhnung einzusetzen.“ Die Ereignisse vor ein paar Wochen in Halle hätten deutlich gezeigt, so die VdK-Vorsitzende weiter, „dass der Antisemitismus leider wieder – oder immer noch? – eine reale Bedrohung darstellt“.
Der Opfer beider Weltkriege und der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus zu gedenken und zu erinnern stand ebenso im Vordergrund der Veranstaltung zum Volkstrauertag am Sonntag, den 17.10.2019, in Umstadt wie auch das Mahnen und Innehalten angesichts aktueller Ereignisse. Nicht nur ein Innehalten mit dem Blick zurück nämlich, sondern auch um die gegenwärtigen Opfer von Gewalt in den Blick zu nehmen.
Immerhin werden gerade auf fünf von sieben Kontinenten kriegerische Konflikte ausgetragen. „Wir erinnern uns heute nicht nur jener Menschen, die während der finstersten Abschnitte unserer Geschichte unter uns Deutschen gelitten haben, sondern auch derer, die bis heute unter bewaffneten Auseinandersetzungen, Terror und Folter leiden und an deren Folgen sterben.“ Das sagte Stadträtin Renate Filip in ihrer Ansprache: „Sehen wir damit den Volkstrauertag nicht als verstaubten Gedenktag ewig Gestriger, sondern als Mahner für den Frieden an.“
Um zu begreifen, so Renate Filip weiter, dass Krieg und Gewaltherrschaft Leid und Zerstörung, Willkür und Folter, Flucht und Vertreibung bedeuten, müsse man nicht in die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts zurückschauen. „Denn wir lesen, hören und sehen es täglich in den Nachrichten“, denke man zum Beispiel an Afghanistan, Syrien, Libyen, Irak, Nigeria, den Sudan, Somalia, Mali.
Und so, wie viele Deutsche einstmals Asyl, Aufenthalt und Integration erleben durften, „sollten wir heute menschlich, offen und gastfreundlich mit all jenen Menschen umgehen, die hier bei uns Überleben, Sicherheit, Freiheit und Menschlichkeit suchen. Unzufriedenheit im eigenen Land darf kein Grund für Rassismus und Fremdenhass sein. Wir müssen Abgrenzung, Egoismus und Nationalismus entgegentreten und uns entschlossen für Respekt, Menschlichkeit und Miteinander einsetzen. Zeigen wir, dass wir eine offene und wertschätzende Gesellschaft sind. Seien wir wachsam und setzen wir uns für das Gute ein.“
Gegen Ausgrenzung und für Toleranz sprach auch der evangelische Pfarrer Marco Glanz. „Sich die Geschichte zu vergegenwärtigen, macht Sinn – wenn wir die darin enthaltenen Erfahrungen sprechen und wirken lassen und entsprechende Schlüsse für das Heute und Jetzt daraus ziehen.“ Es beginne im Denken und in der Sprache, in den Worten denen gegenüber, die als fremd oder anders gestempelt werden. „Nach dem Anschlag von Halle wissen wir, dass daraus auch Taten werden und uns die Gewalt ganz nahekommt.“ Den Volkstrauertag angemessen zu begehen, geschehe dadurch, das Leid früherer Opfer mit dem heutiger zu verbinden. Um Mut und Fantasie bat Pfarrer Glanz in seinem Gebet, der Aggression entgegenzuwirken und friedliche Wege für die Menschen zu finden.
Krieg und Frieden
Ihre eigenen Gedanken zu den Themen Krieg und Frieden hatten sich Schüler der Ernst-Reuter-Schule aus dem 10. Schuljahr gemacht, die wesentlich zur Programmgestaltung beitrugen. Abwechselnd trugen die 15- bis 17-Jährigen zunächst Gedichtzeilen aus Ingeborg Görlers „Krieg und Frieden“ vor: „Krieg ist etwas im Fernsehen – man kann es abschalten“, sagte eine Schülerin. „Krieg ist etwas, das die Alten erlebt haben – man kann’s nicht mehr hören. Krieg ist meistens weit weg.“ Eine andere Jugendliche dann über den Frieden: „Frieden ist nichts, was man mal anschalten kann. Frieden ist nichts, was man Jüngeren oder Älteren überlassen soll. Frieden beginnt immer ganz nah.“
Was Krieg und Frieden für sie bedeutet, hatten die Schüler auf Karten geschrieben und trugen dann einiges davon vor. „Krieg ist Hass und Brutalität“. „Krieg ist etwas, das Menschen tötet.“ „Krieg ist wie ein Messerstich, doch diese Wunden heilen nicht.“ „Frieden ist das Paradies auf der Erde.“ „Frieden ist Freiheit und Gleichberechtigung“ und „Der Frieden würde die Welt erleichtern“, hatte Justin (15) aufgeschrieben.
Auf einer symbolischen Mauer wurden die im Unterricht erarbeiteten Äußerungen anschließend in Papierform aufgehängt. Maßgeblichen Anteil hieran hatten natürlich auch die Lehrkräfte der Ernst-Reuter-Schule Martina Storck und Manuela Euler. Sie haben sich zusammen mit den Schülern Ideen zur Gestaltung des Volkstrauertages ausgedacht.
Zu Beginn des Volkstrauertages hatte man sich zur Kranzniederlegung an der Jüdischen Gedenkstätte getroffen, bevor sich die Gedenkfeier auf dem Stadtfriedhof und in der Trauerhalle anschloss. Für den musikalischen Rahmen sorgten dort der evangelische Posaunenchor Groß-Umstadt unter der Leitung von Christoph Däschner sowie Männer- und Frauenchor des Männergesangvereins MGV 1842 Groß-Umstadt mit ihrem Dirigenten Matthias Seibert. Vor den Gedenktafeln für die Opfer aus Umstädter Familien, deren Namen im Holz eingeschnitzt sind, zündete Stadträtin Filip Kerzen an und legten die Vertreter der Freiwilligen Feuerwehr, Umstadts Wehrführer Christian Karn und Stadtbrandinspektor Stephan Teich, Kränze nieder.
Draußen im Freien gingen die Teilnehmer abschließend zum so genannten „Ehrenhain“, der Gedenkstätte für den Ersten Weltkrieg mit sechs Namensteinen der Opfer aus Groß-Umstädter Familien. Dort legten die Schüler Blumen ab, bevor der Posaunenchor nochmals zur Verabschiedung spielte. „Frieden ist, wenn man mit allen klarkommt“, solche Gedanken von Jugendlichen, so einfach formuliert, begleiteten sicherlich manchen Besucher noch auf dem Heimweg und vielleicht auch darüber hinaus: „Frieden ist, wenn man mit jedem friedlich umgeht, auch wenn man jemanden nicht mag.“
Text: Dorothee Dorschel
Bilder: Dorothe Dorschel und Ernst-Reuter-Schule